Rund um den Sacrower See

Der Sacrower Kirchweg ist ganz schön lang. Vor allem, wenn man ihn im Dunkeln geht, bei Nieselregen und mit müden Beinen. Und wenn man nicht weiß, ob noch ein Bus fährt vom Ende der Welt. Nach Hause, wo es warmen Tee gibt und was zu essen. Dabei hat alles so toll angefangen. Der Kaffee bei Corsini am Wannsee. Der Wind auf der Fähre nach Kladow. Dass tatsächlich ein Windsurfer minutenlang über dem Wasserspiegel schwebte, das war schon irre. Da konnte diese überaus von ihrer Wichtigkeit überzeugte Familie noch so aufdringlich in meiner Aura rumturnen, ich stand schließlich auf und beugte mich maskenfrei über die Reling. Da stoben Krähenschwärme auf aus den dürren Bäumen von Imchen und die Kladower Promenade bog sich unter der Last der Sonntagsausflügler. Sobald mich die überfüllte Fähre ausgespien hatte, stürmten meine Beine höchst zielstrebig auf den Sacrower See zu. Triumphierend begrüßte ich das Ende der Stadt Berlin und bog stracks in den Wald ein. Dort begann schon bald ein bezaubernder Rundweg um den See. Hier ist Potsdamer Boden. Du liebe Güte, und er ist über und über von Bärlauch bedeckt. Eine fürstliche Marke. Und all diese freundlich grüßenden Menschen. Stimmt irgendwas nicht? Stimmt Bärlauch freundlich? Oder der malerische Wanderweg am Wasser? Lag es am Vollmond, der hinter Wolken versteckt still herab lächelte? Es ist am späten Nachmittag. die lärmenden Herden sind bereits verschwunden. Um 18 Uhr saß ich mit zwei Schwänen am Wasser beim Palaver der Vögel und genoss einen Salat aus  Polentawürfeln, schwarzen Bohnen und Karotten, al dente.
Dass ich nach Umrunden des Sees noch den Schlosspark und die berühmte Heilandskirche besichtigte, war ein Leckerli obendrein, und auch im Dunkeln leuchtete mir der Bärlauch wie eine freudig grüne Decke auf dem Waldboden. Den Bus ließ ich vorbeifahren und lief auch die letzte Strecke von Sacrow nach Kladow am Wasser entlang. Sacrow und Kladow sind heimliche Orte. Ich hoffe, dass sie Geheimtipps bleiben und Vodafone Sendemasten sowie Durchgangsstraßen woanders gebaut werden als in diesem wundervollen Naturschutzgebiet.

Wannsee - Güterfelde

 

Es ist unsichtbar, heimtückisch und macht einsam. Es räumt auf, läutert und ordnet die Welt neu. Wie man es auch anschaut. Es ist eine Belastung. Es ist (k)ein Rätsel!

Nicht anstecken lassen. Niemanden anstecken. Mit Angst umgehen lernen ist nichts Neues für die meisten von uns. Manche geraten in Panik, andere gehen in Rebellion. Viele kämpfen um ihre Existenz. Wir alle müssen lieb Gewonnenes loslassen. Der soziale Umgang wird seltsam. Viele stürzen ab.  Alles was früher Spaß gemacht hat, steht nicht mehr zur Verfügung.

 

Lustig wippt der giftgrüne Mistelzweig am langen Ast. Ich trage ihn vor mir her wie eine Laterne. Eine Birke hat ihn abgeworfen. Direkt vor meinen Füßen lag er, auf dem Grünen Weg zwischen Steinstücken und Kienwerder. Er wiegt ziemlich schwer. Ich habe noch weitere 10 Kilometer vor mir. Doch ich liebe diesen Mistelzweig, so verschroben wie Druide Miraculix.  Ich fotografiere ihn auf glitzerndem Schnee, vor dem riesigen Winterhimmel, auf einen Zaun gehängt, bis es dunkel wird und ich an einer Bushaltestelle in Stahnsdorf stehe.

 

Um 13 Uhr bin ich von der S-Bahn zum Bootssteig am Wannsee gerannt, weiße Atemwolken ausstoßend. Doch die Fähre nach Kladow steckte im Eis und kein Segel zierte heute den Wannsee. Alt Kladow liegt unerreichbar auf der anderen Seite der Eisplatte, so unerbittlich wie die Pandemie.

 

Hinter der Wannsee-Loretta (das war mal ein Ausflugslokal, als die Welt noch lebendig war) biege ich links in den Europa Fernwanderweg Nr. 17 ein und treffe eine Menge Spaziergänger und Hunde, bis ich die Stelle erreiche, wo der Teltowkanal in den Griebnitzsee mündet. Dort überquere ich eine alte Kopfsteinpflaster Brücke und biege links in die Parforce Heide ein. Hier stehen die Bäume in Reih und Glied. Hier haben die Jäger vom Kaiser Wilhelm Wildschwein und Reh bis zur Erschöpfung gejagt mit ihrer Hundemeute. Heute ziehen Langläufer ihre Spuren im glitzernden Schnee und die Äste biegen sich unter der weißen Pracht. Ich kneife die Augen zu im blendenden Schneelicht, und packe mein Käsebrot aus. Schon bald bin ich in Steinstücken, das reglos in der Wintersonne schläft, und kehre in großem Bogen zurück in den Wald, um die Autobahnbrücke zu überqueren. Nun bin ich im zweiten Teil der Parforce Heide. Hier nun fällt mir besagte Mistel vor die Füße und lange stehe ich vor der Wüste Mark, eine riesige Schneefläche unter gleißender Sonne, und befrage die Atmosphäre dieses Ortes. Ich lege die Mistel in den Schnee, worin sich der Himmel spiegelt mit Wolken wie Plastikschaum. Ich betrachte die Mistel, ein Schmarotzer, der hohe Baumkronen mit grünen Kugeln festlich behängt. Sie leuchten hellgrün in den kahlen Wipfeln vor blau-rosa Winterhimmel.

 

Potsdamer Alle heißt die Kreisstraße 6960, die ich nun erreiche. ich könnte von hier mit dem Bus nach Teltow fahren. Diese potsdamer Bushaltestelle ist ein architektonisches Meisterwerk. Doch ich gehe weiter, den Stolper Weg, der durch Kienwerder führt, zunächst zwischen zwei riesigen Friedhöfen hindurch: Rechts den Wilmersdorfer Waldfriedhof Güterfelde und links den Südwestkirchhof Stahnsdorf mit dem Grab von Heinrich Zille, einer norwegischen Holzkirche und allerhand Kriegsgräbern. Ein eingetragenes Denkmal des Landes Brandenburg übrigens. Doch mir ist nicht nach Friedhofsbesichtigungen, denn meine Beine sind beschäftigt, den Kopf zu sortieren, mit ihrem rechts-links, vorbei an Pferdekoppeln, Kleingärten und Feldern bis zur nächsten Autobahnbrücke. Von dort bestaune ich das riesige blau-rosa Himmelszelt über mir, soweit können meine Gedanken gar nicht reichen. DA hinten liegt Güterfelde, gefolgt vom dritten Teil der Parforce Heide. Doch es wird dunkel und ich muss für die Fortsetzung wiederkommen. So marschiere ich über die Landstraße im Dorf Güterfelde ein und stehe bei Sonnenuntergang zwischen Schloss und Dorfkirche an der Bushaltestelle, an der heute kein Bus fährt. Drum trage ich meinen Mistelzweig noch drei Kilometer Landstraße bis Stahnsdorf, wo ich einen Regio Bus zur Krummen Lanke finde. Die Neumondsichel hängt am Himmel, als wolle sie mit ihrer Schärfe Misteln schneiden. Man sollte das Küssen der Gegenwart von Misteln unterlassen, es sei denn, man hat Krebs oder Asthma hat, dann kann die Mistel ein guter Freund sein. Ich werde meine Wanderung bald fortsetzen, die Friedhöfe besichtigen, im Güterfelder See baden und den dritten Teil der Parforceheide durchwandern, bis zum Nuthetal. Die Mistel hängt jetzt über meinem Schreibtisch, kraftstrotzend und irrsinnig grün: sichtbar, berechenbar und eine nette Gesellschaft.

 

Von Zehlendorf zum Wannsee - wo das Berliner Urvieh trommelt

ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kenn in den Rehbergen schon jedes Eichhörnchen. Jeden Tag geh ich spazieren, meist gegen Abend, damit ich nicht totgetreten werde von den Menschenmassen, die da dicht an dicht aneinander vorbeidrängen am engen Kanalweg, als sei der Mindestabstand nie erfunden worden. Hat man denn heutzutage noch ein anderes Vergnügen als Spazieren zu gehen? Thermalbad: Bankrott. Lieblingscafé: Rollläden zu, vielleicht auch schon bankrottgegangen. Sportstudio: Zu. Kino: Nix zu machen. Frisör? Ich trag immer Mütze. So gesund und sparsam haben wir noch nie gelebt! Alles was Beine hat, mit Bierflasche und Thermoskanne, so steht man gesellig am Picknickplatz am Plötzensee und schlottert in der Kälte. 
Ich erweitere mein Revier heute mal auf den Wannsee. Die Eichhörnchen dort mag ich gerne. Ich weiß nicht warum, doch ich sehe ihre roten Büschel flitzen und jauchze vor Vergnügen. Das reicht mir dann schon zu meinem Glück. Und obwohl ich schon X-mal vom Wannsee nach Zehlendorf gelaufen bin (über Griebnitzsee, den Teltowkanal und Kleinmachnow), entdecke ich immer wieder erstaunliche Dinge. Als sei die Alte Hakeburg letzte Nacht aus dem Nichts erschienen, um mir am Wegrand aufzulauern von der Anhöhe über dem Machnower See. Ein älteres Paar schlendert dort herum und erinnert sich, wie sie hier geheiratet haben, stellen sich nochmal auf die Treppe zum großen Saal, jetzt mit zerbrochenen Fenstern und unter dem Bogen wächst der Efeu. Dann laufen sie zur Remise hinüber und rekonstruieren die Geschichte ihres normierten Glücks. Hier befand sich bereits Anfang des 14. Jahrhunderts eine Burg. Viele Besitzer. Viele Male abgebrannt und wieder aufgebaut, ist dies ein Ort mit Geschichte. Auf der anderen Seite des Sees finden sich die Grabmale der Burgherren in der Kleinmachnower Kirche. Muss ich mal hin. Vielleicht begegnet mir Hans von Hake mit einem Sack voll Gold. Dieser Hake von Stülpe soll in der Golmheide zwischen Luckenwalde und Jüterbog dem von Frankfurt (Oder) kommenden Tetzel in wilder Winternacht seine Geldtruhe abgenommen haben (heute in der St. Nikolai (Jüterbog) als Tetzelkasten aufbewahrt), nachdem er sich dafür einen Ablasszettel erworben hatte.

Später begegnet mir Mahatma Gandhi in der Einfahrt eines indischen Restaurants, früher die Schleusenwirtschaft von Kleinmachnow, ein wundervoller Fachwerkbau unter riesigen Kastanien. Der Gute schreitet – von Hunger-Endorphinen erleuchtet – seinen Nachfolgern voran in einer zeitlosen Wanderschaft in die Unabhängigkeit Indiens von der Britischen Kolonialmacht. Ich wandere vorbei und biege in den Teltowkanal ein, wo ein Trampelpfad mich direkt zum Griebnitzsee führt, immer am Wasser entlang. Übrigens: Beim Augustinum in Zehlendorf biegt ein Wasserarm vom Teltowkanal ab und bietet einen wildromantischen Spazierweg bis zum Grunewaldhaus. Und hier, am Buschgraben habe ich eine Erkenntnis. Berlin ist wie die Kombination aus supermoderner Metropole und großen Gebieten von Urwald, wo das Berliner Urvieh trommeln und seine Tiere ausführen kann. Mir ist das heute grade recht. Sonst krieg ich den Wedding Koller. Überhaupt hab ich das Dorf Wannsee, wo meine Wanderung nach der Kohlhasenbrücke wegen Dunkelheit endet, noch nie so recht kennengelernt. Ich steh am Wilhelmplatz und sehe preußische Feldwebel mit steifem Kreuz und geschwellter Brust den Säbel schwingen und zackig skandieren „Über die Gräber zum Sieg!“ Ich steig in einen BVG-Bus (ein Produkt des Wespen-Clans wegen des gelb-schwarzen Designs) und mach eine Liste für die nächsten Unternehmungen: Burg Neu Hakeberg restaurieren und einen Familien-Treffpunkt mit Klettergarten anlegen. Im Restaurant BaPu indisch essen gehen. Im Biergarten an der Soehnel Werft bei Griebnitzsee am Wasser chillen mit… , Alt Wannsee besichtigen, Kirche in Kleinmachnow besichtigen, eine große Bootsrundfahrt machen… und …. Trommeln!
Und wo wandert ihr so? Erzählt mal...

 

Mondspaziergang

 

Die Standuhr im Wohnzimmer macht „GONNNNGGGGG“. Das Uhrwerk schnarrt. Der Resonanzkasten brummt. Ein Uhr nachts. Sie steht am Fenster und starrt mit leerem Gesicht ins leere Gesicht des Mondes, der durch den Fensterausschnitt wandert und ihr Nachthemd in ein fahles Gelb taucht. Sie merkt nicht, dass sie kalte Füße hat. Doch das Schauspiel des wandernden Mondes verlangt alle Aufmerksamkeit. Oder ist sie überhaupt da? Das steht zu bezweifeln, denn sie reagiert nicht auf das Quietschen der Tür, die sich öffnet. Im Türbogen erscheint Anne, die sich ihr vorsichtig nähert: Tina? Sie fasst die Frau am Fenster leicht an den Schultern. Tina reagiert nicht. Anne tritt nun direkt neben sie und will Kontakt aufnehmen mit der Frau, von der sie nun beinahe zweifelt, ob es noch Tina ist, die Freundin und Mitbewohnerin, mit der sie noch bis 22 Uhr am Küchentisch gesessen und geplaudert hat bei einer Tasse Lavendeltee. Anne sieht, wie sie langsam die Lippen bewegt, ein tonloses Narrativ, das ihr Ohr nur als verschlüsselte Botschaft erreicht. Sie fasst die Freundin nun fester an beiden Schultern, schüttelt ein bisschen. Keine Reaktion. Wach auf, Tina, es ist kalt. Du musst ins Warme. „Hmmm“ es ist fast ein Singen, das aus ihrem Mund kommt, während Tina unverwandt auf den wandernden Mond blickt. Ah, Vollmond, kein Wunder, denkt Anne mit einem flüchtigen Blick in die fahl helle Nacht, wo sich ein Baumgerippe vor dem Licht abzeichnet wie ein Gespenst. Sie schiebt Tina zum Bett hin, wo sie die Freundin hinsetzt. Da schaut sie sie geradewegs an mit einem klaren durchdringenden Blick, der mehr spürbar als sichtbar ist im Halbdunkel des Zimmers. Sie lüpft Tinas Füße ins Bett und deckt sie zu. „Was ist los? Anne, warum schläfst du nicht?“ fragt sie verwundert. „Du hast am Fenster gestanden und in den Mond gestarrt.“ „Ach habe ich das?“ Tina sieht Anne befremdet an. „Kannst du dich nicht erinnern?“ fragt Anne, und fügt zweifelnd hinzu: „du bist doch nicht krank?“ . Tina lächelt: „Ich… weiß nicht… ich bin durcheinander… glaube ich. Nun geh nur schlafen, es ist spät und ich bin so müde.“ Anne geht durchs Wohnzimmer und hält das Pendel der Standuhr an auf dem Weg in ihr Bett. Das Ticken hat sie schon lange gestört. Der Mond knipst sein Licht aus hinter einer Wolke.
In der nächsten Nacht sitzt Tina auf dem Dach. Es ist mild und warm. Der Mond scheint hell…

 

Gargantua im Garten

Restaurant Gargantua wegen Pandemie geschlossen. Man will sich ja nicht anstecken beim Gourmet Diner. Stattdessen gab es eine konsumfreie Jakobsleiter am Tegeler See. Ich bin nicht aufgestiegen, sondern am Wasser entlang gewandert. Dafür gab es keine Bonuspunkte. Auch keine Black Week Prozente. Uunter dem Graureiher sprachen Radfahrer von Algorhithmen. Elegant stakte er auf dem Baum herum. An Kiosken wärmte man sich stehend an einem Glühwein. Mit Seeblick gab es aus dem Wärmebehälter:

 

Wirsingpüree mit Ingwer, Zimt und Backpflaumen, dazu Reis mit in Butter gerösteten Sonnenblumenkernen. Wohl bekomm's!

Havelhöhenweg

01.07.20 Havelhöhenweg ab Nikolassee. Es regnet ein wenig, ist mäßig warm. Die Linden duften nach Honig, nach Balsam, nach Liebe. Wannseebadweg bis Wannseeterrassen, vorbei an der Spinnerbrücke, an meinem Lieblingskiosk "easy rider" - alles geschlossen, der Parkplatz leer. Eine Lautsprecherdurchsage über dem leeren Wasser des Strandbads. Ich klapp den Schirm auf und zu und betrachte eine Herren-Badehose in einer Pfütze neben einer halbvollen Flasche Orangensaft, dahinter eine Aldi-Tasche mit aufgeweichtem Papier. Weitere Fundstücke: Eine Herren-Unterhose (Parkplatz), eine Herren-Wollmütze (Treppe), ein zerbeulter Esslöffel (Drogenbesteck?) und jede Menge leere Flaschen. Ich dachte, ich könnte vielleicht ein paar Pilze finden. Bis zur großen Steinlanke leider nein. Obwohl der Wald nach Stinkmorcheln riecht. Zwei Kilometer weiter an einem der vielen Aussichtspunkte mit Blick üer den See, spanne ich die Hängematte auf und betrachte das Kriechen der Segelboote auf dem Wasser. Unten das Rauschen der Straße, Vogelgezwitscher, verhalten und leis, sodass mir die Augen zufallen, wie ich in die Birken hinauf schaue. und träume...

...Diesen Weg mal mit Freunden gehen und hier gemeinsam picknicken. Doch unten an der Bushaltestelle hing dieses Schild, dass Gruppenausflüge "sich selbst verbieten wegen der Ansteckungsgefahr."  Zu zweit ginge schon und mit Abstand. Also ca. 15  Zweiergruppen mit 1,5 m Abstand und mit 2 m Abstand hintereinander, denke ich. Ich erinnere mich an die Hinfahrt. Ich erstickte unter der Maske in der Bahn. Der Fahrgast mir gegenüber trug keine. Eine ältere Dame fragte ihn, warum. Er antwortete höflich, er habe seine Maske verloren. Aha... Die Dame kramte lange in ihrem Rucksack und setzte sich dann mit einem Schulterzucken. Sie hatte keine Ersatzmaske gefunden für den unmaskierten Fahrgast. Sie hätte gewiss mit ihm gesprochen, wenn nicht ihr halbes Gesicht unkenntlich gewesen wäre.

Zurück zum Havelhöhenweg, der mir kurz nach dem Hängemattenschläfchen verloren geht mit seinem bunten Windrad als Wegweiser. Es geht stracks durch den Grunewald Richtung S-Bahn. Ich finde ein Babyspielzeug, das jemand in den Busch gehängt hat, eine Art knisternder Topflappen mit einem Beißring. Auf einem Grenzstein liegt ein brandneues, sehr teures Fahrradschloss. Ich komme zu einem Quellbrunnen bei einer Umkehrosmoseanlage der Berliner Wasserbetriebe zur Bewässerung des nahen Moors. Dort fülle ich meine Wasserflasche mit  Quellwasser, das weich und süß  meinen großen Durst löscht. Ein gesprächiger Pole füllt dort seine Plastikflaschen und erklärt mir ungefragt eine Abkürzung, die viel interessanter sei, als der Weg über den Teufelssee. Ich nehm diesen Vorschlag gerne an und finde  eine riesige Wiese, auf der unzählige kleinen Königskerzen wachsen. Wie eine stille gelbe Armee stehen sie im Abendlicht und ich lege die Hand auf mein Herz .

Jetzt sitze ich auf einer Bank unter einer Linde. Ein summendes Gesamtkunstwerk aus Duft und Klang, mit Blick auf die große Sandgrube. Drei Birken. Zwei Findlinge und ein Herz, das bleiben will  und nicht zurück in die Stadt. Eine nagelneue S-Bahn bringt mich heim. Auf dem Weg: Ein Schnuller, eine Wollmütze...

 

(c) Text und Bild: Brigitte Hallbauer

Geschichten

Ich möchte eine Geschichte erzählen. Geschichten erzählen ist mehr, als bloß Geschichten erzählen. Ich hoffe damit etwas zu ändern, das eigentlich nicht zu ändern ist. Wenigstens sieht es so aus. Hinter jeder Geschichte steht das Eingeständnis von Ohnmacht. Und wer in die Geschichte schaut, weiß, wie machtvoll Geschichten bereits die Geschichte vorangetrieben haben. Zum Beispiel die Geschichte von einem, der träumte, er könne fliegen.

 

Tätigkeit, Notwendigkeit, Wahn – das sind die Mittel, mit denen Geschichten gemacht sind. Wir sind, was wir tun, lernen wir von den Eingeborenen, die stündlich neue Namen haben. Außerhalb unserer augenblicklichen Tätigkeit sind wir nichts. Mein Tun erzählt meine Geschichte. Dieser Augenblick ist die Summe aller unserer Geschichten, nämlich was wir getan und was wir gelassen haben. Auch Schweigen ist eine Tat. Ich weiß nicht, wo diese Geschichte beginnt und endet. Ich taste mich vor ins Unbekannte, balanciere auf dem Hochseilt des Jetzt über dem Abgrund der Ungewissheit, wo ich die Umrisse der Zukunft erahne, so wie der Grund unter seichtem Wasser schimmert. Wo ich stehe, ist jetzt. Mein Name ist: "Die in die Bäume starrt." Ich will nicht fallen, stürzen, zerbrechen, dort unten liegen blieben, ein Opfer meiner Annahmen. Ich will auch morgen wieder Blumen pflücken, weil dies heute so schön war, doch was weiß ich von Morgen? So viel zum Wahn. Was ich tue? Ich starre in Baumkronen und lese die Zukunft im Rascheln des Winds. Auf dem Tisch entwerfe ich meine Fahrkarte ins Glück. Startbahnhof: Misere. Zielbahnhof: Jetzt! Preis: Loslassen. So billig. So teuer. Je nach Geschichte. Das Ticket hat zwei Seiten.

 

Jetzt kommt die Notwendigkeit. Ich steige ein, ziehe die Geldbörse und diene dem Gemeinwohl, dem Gott der Freude, der den Atem erfunden hat, dem ich die Fesseln meiner Gedanken anlege. Nenn es Kultur, während Menschen in mein Leben eintreten und es wieder verlassen, manche mit lautem Hupen. Manche tragen Masken, denn sie fürchten sich anzustecken. Liebe ist ein tödliches Virus.

 

Ich hab noch gar nicht angefangen und schon überlege ich, wer meine Geschichte lesen wird, manipuliere die Worte, die doch kommen wollen wie Atemzüge, die ich stranguliere mit meinen Gedanken. Atemzüge sind auch Züge. Man sollte ihnen freie Fahrt lassen. Man sollte ohne Ticket jederzeit fahren können, ohne Knoten in den Gleisen oder Geschichten in den Bäumen, es ist doch nur der Wind, der streichelt und zerstört. Es ist doch nur das Wasser, das nährt und vernichtet, es ist doch nur ein Virus.

 

Die Masken müssen fallen. Ich schreibe die Geschichte der Überlebenden, derjenigen, die die Stunde zu nutzen wissen und sich vorbereiten auf das was kommt. Ich weiß noch immer nicht, wo meine Worte mich hinführen. Auch Worte sind Taten. Ich weiß mehr, als ich sagen will. Den einen öffnet das Virus die Augen, die anderen tötet es. Ich bin in der Grauzone und fotografiere einen Tautropfen, in dem sich die ganze Welt spiegelt. Müll, Gestank, ein psychotischer Schrei über dem See. Ein paar Eingeborene werden übrig bleiben mit ihren Federbüschen und sich auf die nackte Brust klopfen. Ich hab keine Kraft mehr für meine Geschichte. Sie endet, bevor sie angefangen hat. Ich habe gelernt, alles genau abzumessen, in abgezirkelten Bahnen meine Runden zu drehen und pünktlich bei Tisch zu sitzen. Die größte Herausforderung besteht im Weitermachen, obwohl es absurd erscheint. So vieles "scheint", wenn man nicht klarsehen kann. Sonst würde man durchdrehen. Ich steuere auf eine Geschichte zu, der ich allein gegenüberstehen werde, völlig allein. Auf meiner Fahrkarte steht: JETZT

 

(c) Brigitte Hallbauer

 

So im April...

... die Säfte brechen die Finger

beginnen wieder zu wandern

Mondnester platzen

am beflaumten Baum

die Blüen Madame

Trauerweide fallende Perlen

fallende Sternaugenstreu

rieselnde und

an der Wurzel des Sees

der lachende Schwan

 

(c) Brigitte Hallbauer

Spaziergang

Unter freiem Himmel, wenn die Seele den Blick hebt und der Atem mich führt, seh ich dort oben, wie sich zwischen den Wolken die Türen öffnen und die Engel heraustreten. Ich sehe sie tanzen auf den Nadelspitzen der Zeit und unter Platanen greife ich nach dem Schweigen in den Furchen meiner Stirn, schmecke meinen Atem, süß wie die Erde, sag jetzt nichts mehr.

 

Abends leg ich mich schlafen, schling meinen Arm um den großen Drachen Angst und fürchte mich vor seinen Zähnen, in denen Kinder mit weißen Strümpfen stecken.

 

So viel zu Äpfeln.…

 Dieser Duft ... Ich ziehe ihn ein durch die Nase wie eine Zeile Koks. Welche Sorte ist es? Berlepsch? Schafsnase? Bohnapfel? Booskop oder Gravensteiner? Und wo hatte Oma sie gelagert? Ah, der ganze Keller war voll mit Kisten bei uns. Aber Oma hatte sie im Speicher, mit Decken abgeschirmt vor Ratten und Mäusen, die sich über den Getreidehaufen hermachten, der vom Sommer übrig war. Wenn wir sie holten in einem Korb, dann haftete Winterkälte an ihren runzlig gewordenen Häuten. Wir legten sie auf den Ofen, auf die heiße Herdplatte bei Oma zum Braten. Oma schnetzelte die angefaulten zu Apfelmus, während wir am Tisch saßen bei Butterbrot mit Erdbeermarmelade. Brot und Marmelade selbst gemacht, während das Apfelmus duftete im großen Kessel. Abends gab es dann Grießbrei mit Apfelmus oder Apfelküchle. Aber erst nach dem Baden in der großen Zinkwanne auf dem Küchenboden, Noch passten wir zu viert in die Wanne. Der Geruch von Äpfeln hing in Omas fleckiger Küchenschürze, an die ich mich hängte mit dem ganzen Gewicht einer Fünfjährigen. Ooooooomaaaaaaaa.

 

Ich öffne die Augen und wundere mich. Denn es gibt weit und breit keine Äpfel, keine Gravensteiner, keine Booskop, keine Bohnäpfel, Schafsnasen oder Berlepsche, Es war doch nur ein Sauna Aufguss. Nur ein Aufguss… So viel zu Äpfeln.

 

namenlos ist der Ort...

... wo die Berge sich in tief in den Weiher erheben, so dass Buntspecht und Ente von ihren weißen Gipfeln trinken und auch der schwellende Mond die Erde mit zartem Flügelschlag streift. Wer hier sein Gepäck abwirft und niederkniet, wird vielleicht von den verlorenen Seelen wiedergefunden, die sich grad jetzt wie müde Schmetterlinge aufs Moor senken. Wer hier den Schritt entschleunigt und jeden Atem wie Honig in der Lunge zergehen lässt, hat einen Schritt in den Himmel getan. Seht! Schon wirft er breit und blau die Spinnennetze des Taus über die aufsteigende Nacht. Da stehe ich und buchstabiere, was der Wind mit dem Herbstlaub tuschelt und decke einen Steinpilz zu. Meine Zweifel verstummen und die Uhr wird kalt, die ich den ganzen Tag umklammert hielt. Langsam schält sich der Gesang meines Blutes aus dem Lärm in meinem Kopf. Ein verstümmelter Ahorn schwingt sein Mooskleid und ruft mir „SCHÖNHEIT“ zu. Dabei umschwärmen mich mit Riesenflügeln die Seelen der toten Kinder. ((c) Brigitte Hallbauer)

 

Pavor nocturnus...

... den Regen hab ich selbst gemacht und kalt geschlafen im nassen Gras, dessen Schwärze ich jetzt aus meinem Haar schüttle, noch zitternd, denn es hockt noch die Nacht im kalten Gebüsch mit ihren Dämonen, doch über den Bergen spannt der Himmel sein beerenfarbenes Zelt, haucht Nebelstreifen vor frisch gefallenen Schnee und Freiheit auf meine Stirn, wo ich eben noch nach dem nächtlichen Todfeind schlug. Ich schaukle verwirrt und weiß nicht, wo ich bin, bis der Schlaf mich wieder zurückholt in seine Betäubung. Nochmal passiert mir das nicht, das schwöre ich dir. Und bald sind meine Muskeln, aus reiner Gewohnheit, bereit für den Tag:. Vom Himmel zur Erde zieht mächtig die finstere Last der wasserschweren Luft. Ist es mein Verdienst, dass ich dem Wetter die Stirn bot, indem ich die Wolken kommen ließ? Ich bin froh, dass es vorbei ist, denn nun kann das Wasser sich erneuern, auch wenn es plötzlich eiskalt geworden ist.

Von Paulinenaue zum Birnbaum nach Ribbeck

Der Mistkäfer vom Blumenthaler See

Er krabbelte stracks auf mich zu, arbeitete sich bergauf vom See zu dem Baumstumpf, an dem ich saß und aufs Wasser guckte. Ich wusste, er würde bis an meine Füße kommen und wunderte mich noch: Meint der mich? Tatsächlich verkroch er sich unter einem trockenen Eichblatt unter dem Rand meines Wanderschuhs. Ich hob das Blatt etwas an und sah, wie er sich unterm Gras in die Erde gebohrt hatte. Der Rest seines schwarzen Panzers schimmerte durchs Grün. Ich guckte über den See und träumte so weg. Die Sonne zeigte sich ein wenig. Eine stattliche Blindschleiche spazierte elegant um einen warmen Findling herum und eine rote Libelle tanzte ihren Zickzackflug über den Blumenthaler See. Sonst war es still. Nicht mal die Vögel meldeten sich. Erst, als es an meinem Bein kitzelte, schreckte ich aus meinen Träumen. Der Käfer hatte sich tatsächlich entschlossen, an mir hoch zu krabbeln. Grade hatte er den Übergang vom Socken zu meiner Haut passiert. Ich hatte Scharen von ihnen auf einem Scheißhaufen wimmeln sehen im Wald und wischte ihn erschrocken weg, sodass er im hohen Bogen ins Gras flog und sich rasch davonmachte. Verdattert, enttäuscht irgendwie. „Ich bin weder tot noch bin ich Scheiße!“ rief ich ihm noch hinterher. Der hat schon kapiert. Schade eigentlich, dachte ich noch. War der eklige Krabbelteufel nicht in friedlicher Absicht gekommen? Wieder daheim erfahre ich beim Googeln, dass ich einen heiligen Skarabäus verschmäht hatte. Na so was.

(c) Text: Brigitte Hallbauer  Bild: Wikipedia

 

Havelhöhenweg von Grunewald nach Nikolassee

 

Manchmal fühle ich mich bedroht von Facebook. Jeder strömt hier von Liebe über, kann sämtliche Sinnsprüche und Tugenden von den bunten Bildchen eins zu eins umsetzen (Nur Nettes Sagen, nie ausrasten und immer gesund essen, früh ins Bett gehen und nicht grübeln), den Sinn des Lebens gefunden zu haben und mit der ganzen Welt befreundet zu sein. Na, wer hat heute die meisten Likes abgegriffen?

 

Aber wie geht es eigentlich, stets auf Erfolgskurs zu sein (oder wenigstens so zu tun), totale Akzeptanz zu üben und nie auszuticken, weil eine Glühbirne kaputtgeht oder die Katze auf die Polster kotzt und auch die Fassung bewahren, wenn eine liebe Freundin anruft und sich ausheulen will, ich aber grad wirklich nicht zuhören kann. 

Um darüber nachzudenken, geh ich mal wieder den Havelhöhenweg. Eigentlich um überhaupt nicht mehr nachzudenken, geh ich mal wieder den Havelhöhenweg. Ich nehm ein schlechtes Buch mit und marschiere wie eine Wahnsinnige, als müsse ich drei bittere Monate des Nicht-Wanderns aufholen. Heut ist der Tag. Ich trainiere schon mal für den Westweg.

 

Missmutig stürze ich beim S-Bahnhof Grunewald in denselben und rase stracks auf den Teufelssee zu. Ich hab ein Ziel. Aber eigentlich reicht es schon hier draußen zu sein. Denn nach 5 Minuten stellt sich Erleichterung ein. Nach 15 Minuten Wohlbefinden. Nämlich als ich vor dem Teufelssee stehe und die kanadische Goldrute und der Rainfarn alle Wiesen leuchtend gelb tupfen.

 

Als ich die Havel erreiche kommt Freude zu meinem zackigen Marschtritt dazu. Beim Schilthorn, als ich vor dem Denkmal des letzten Slawenfürsten Jaczo stehe, lese ich entzückt die Legende. Jaczo und seine Mannen wurden von Albrecht dem Bären durch die Gatower Schlucht getrieben, der Fürst floh mit dem Pferd in die Havel, wo er kurz vor dem Ertrinken seinen Deal mit dem feindlichen Gott machte: Wenn du mich rettest, werd‘  ich halt Christ. Und prompt griff das göttliche Händchen unbekannter Nation ihn am Schlafittchen und brachte ihn ins Trockene und Jaczo hängte seinen Schild an eine Eiche und lief zur Religion der Mächtigeren über. Das Ende der slawischen Herrschaft markierte die Geburt der Mark Brandenburg.

 

Ich lese ein bisschen in dem mitgeführten Buch, worin die exakten Maße eines neu zu bauenden Tempels akribisch notiert werden. Später tritt der liebe Gott durch das Osttor dort ein, das von nun an nie mehr von Menschen geöffnet werden darf.  Nur der Fürst darf dort sein Opferfleisch fressen.

 

Das Wetter ist trotz finsterer Wolken erstaunlich stabil. Die Sonne, wenn sie durchbricht, sorgt für leuchtende Kontraste. Die ganze Zeit schau ich aufs Wasser, auf dem die Windsurfer den Elementen trotzen, mal von oben aus dem Wald, mal unten an der Strandpromenade, wo ich mit den Enten durch den Sand wate. Als ich dann bei dem gründelnden Schwan zu Mittag esse, stürmt es ein wenig, doch ich habe wieder Boden unter den Füßen und bummle den Rest des Weges, gemütlich bis Nikolassee zu Ende, schau mal hier mal dort in Ecken, die ich noch nie gesehen habe, finde einen Parasolpilz, tolle Fotomotive und… Gedanken, die mich vor Freude zittern lassen. Serotonin…  

 

Bei den Wannseeterrassen beschließe ich, meine nächste Party dort zu feiern. Und überhaupt, der nächste Ausflug ist auch schon geplant. So geht es mir mit dem Wandern. Ich habe nach einem solchen Ausflug noch nie gesagt: „Jetzt reicht‘s aber wieder für ein halbes Jahr“. Auf dem letzten Stück zum Bahnhof pflücke ich Blumen. Wieder daheim brat ich mir den Parasolpilz. Ach so, heute ist ja Neumond. Na, auch das geht vorüber…

Urheberrecht für Text und Foto: Brigitte Hallbauer

 

Von Neustrelitz rund um den Zierker See

(Bildergalerie dazu folgt nach dem Text)

Der Tag verlief in nahezu anarchistischer Gemütlichkeit. Schon vor der Abfahrt palaverten wir lang auf dem Bahnsteig, bis der Zug kam. In Neustrelitz gönnten wir uns erst mal ausgiebig Kaffee und Kuchen im Bootshaus mit Blick auf den Zierker See ehe wir loswanderten.

Die Badesachen brauchten wir nicht, nur den Regenschirm von Zeit zu Zeit. Es war warm und der Regen mäßig, sodass wir die meiste Zeit ohne gingen. Welche Blume ist das? Und wie heißt dieses Kraut?  Was ist das für ein Schmetterling? Sieh all die Schnecken am Stamm der Erle. Wenn der Schuh drückt, ist es Zeit, barfuß zu gehen. Auf der Magerwiese, im Findlingsgarten bei Prälank-Kalkofen hatten wir unseren magischen Moment. Thymian, Alpenblumen, seltene Kräuter und Schmetterlinge zwischen Kraftlinien und Strömungen, die wir zu entziffern suchten. Die Findlinge lägen auf Akupressurpunkten der Erde und wirkten förderlich auf die Vegetation hieß es in der Geomantie. Plausibel, finden wir. Wir ließen uns nieder auf den Findlingen und taten frischen Thymian an unser Essen. Ich sprang plötzlich auf und wechselte den Stein, als ich den Ameisenhaufen unter meinem Stein bemerkte. Mein Rucksack wimmelte schon. Vom Eidechsen-Pavillion blickten wir über die wunderschöne Wiese und rochen den Regenschauer, der darüber ging.

Wartet, bis ich barfuß über das Moos gegangen bin. Wartet, bis ich die schwarze Schnecke fotografiert hab. Wartet, bis meine Schuhe gereinigt sind... Wir blieben stehen vor einer weiteren unglaublich vielfältigen Blumenwiese, sinnierten über das Alter der Korbweiden, die unseren Weg säumten und ob der Kammerkanal, den wir überquerten, den Zierker See mit weiteren mecklenburgischen Seen verbindet.

Gegen die Schnaken, die uns verfolgten, schützten wir uns mit dem Lavendel Mantra. (Ätherische Öle schrecken sie ab, wir holten sie uns gedanklich). Stiche, die uns doch erwischten, behandelten wir mit Spitzwegerich.

Dreimal ließen wir uns zur Rast nieder und dreimal begann es just in diesem Moment zu regnen. Ein Herr Kohn warb an seinem Gartentor für sein Institut für Zufallsforschung. Der Blick über weite Moorwiesen mit weidendem Vieh, den grau gekrausten Zierker See, das wogende Schilf, das Kirchtürmchen von Zierke und der Hafen mit seinen historischen Kornspeichern hinterließen wohltuende Eindrücke von Schönheit und Ordnung, die wir alle mit in die kommende Woche nehmen werden

Im Schiffsbistro mit den wankenden schwankenden Sitzgelegenheiten diskutierten wir dann bei Pommes und Bier über die Fidschiinseln, Australisches Outback, und warum die Strelizie Strelizie heißt. Jene ziert nämlich als riesige silberne Skulptur die Promenade zwischen See und Marktplatz und ist das Wahrzeichen von Neustrelitz. Hmmm. Dämmert‘ s?

Doch das ist eine ganz eigene Geschichte Die erzähl ich nächstes Mal. Für heute will ich ein Licht anzünden und  danken.

© Text und Fotos: Brigitte Hallbauer

 

Grüße aus der Nacht

Seltsam, bei Vollmond im Garten zu wandeln. Da ist diese nervöse Angst und Faszination, die meine Schritte beschleunigt. Hier der Papierkorb, hat er sich nicht bewegt? Und dort, huschte da nicht etwas hinter den Baum? Alles scheint lebendig und beseelt. Wiesen, Bäume, der See, selbst die Pfützen - sie geben Antwort. sind von zahlllosen Geistern, Kobolden und Feen umhuscht.
Da! Das war nun aber tatsächlich der Fuchs, der um die Ecke rannte, lautlos wie ein Gespenst. Auch die Fledermaus da ist real mit ihrem lautlos nervösen Zickzackflug. Bleich ist das Licht und die Frösche palavern zwischen den Seerosen. Sonst ist es still und mich beseelt die Verbundenheit mit allen Wesen.
So auch mit euch liebe Hotelgäste. Ihr seid auch unsichtbare Wesen aus der virtuellen Anderswelt. Meine stille Zwiesprache mit euch am mondhellen See ist beinah, als spräche ich mit den Toten, denn keine Reibung der Charaktere, keine Meinungsverschiedenheit, kein Missverständnis, kein widersprüchliches Bedürfnis steht zwischen uns. Die reine Liebe ist es. Fast billde ich mir ein, erleuchtet zu sein und alle conditio humana überwunden zu haben.
Doch mein Lächeln sagt mir: Das ist nicht wahr.
Die Frösche legen eine Pause ein. Ich gehe heimwärts. Viel gefährlicher als all die Geister sind die besoffenen Urschreie der Jungmänner am See, wo das Restaurant Gargantua die letzte Runde ausgibt, oder dass dieser nächtliche Spaziergänger vor mir mich plötzlich schneidet, als ich ihn forsch überholen will..
Die Quelle des Mutes ist Angst. Das werde ich mir jetzt mal auf der Zunge zergehen lassen und auf ein paar Dinge anwenden, die ich so vorhabe in nächster Zeit ...
Herzliche Grüße aus der Nacht...

Die Rosen in Mutters Garten

… sie blühen so prall, als sei sie nie gestorben. Alles wuchert hier üppig und verströmt ein Potpourri würziger Düfte. Der Fingerhut sprießt bis ins Apfelbäumchen hinein, der Sauerkirschbaum ist einem jungen starken Holunder gewichen am Zaun zum Nachbargrundstück. Anstelle der betagten Mirabelle steht eine Zierkirsche. Tante H. erzählt, wie Mutter bei ihren Herbst-Besuchen gern ein Glas eingeweckte Mirabellen mitbrachte. Ich selbst aß sie gern auf heißem Grießbrei.
Die erstaunlichsten Kräuter und Unkräuter koexistieren wertfrei und kreativ in Mutters kleinem Garten, den mein Bruder auf seine Weise pflegt. Auch Neffe Leon fühlt sich wohl in Mutters ewigem Leben und übt sich im Bogenschießen. Er ist ein kleiner Experte darin und zeigt mir, wie es geht.
Füße seitlich zur Zielscheibe und schulterbreit stehen. Den Bogen im rechten Winkel um Körper spannen bis zum Gesicht. Dann absichtslos den Pfeil im Ziel imaginieren und … loslassen.
 
(c) Brigitte Hallbauer für Text und Bild
 
 

Alle Farben

In den grauen Himmel fahren
Dahinter heißes Sonnenlicht
In den grauen Himmel träumen
Dahinter Schmetterlinge, die tanzen
In den grauen Himmel atmen
Und wissen, Farben pulsieren irgendwo
In den grauen Himmel blinzeln
Und angestrengt lächeln, Kopf knapp über Wasser
den grauen Himmel anbrüllen
Und wissen: Auch das geht vorüber
Und bis dahin … hol ich nochmal Luft
Und hauche dem Himmel Leidenschaft ein
Grau sagt mir sämtliche Farben
Schwer hängen die Wolken
Auch das geht vorüber
 (c) Brigitte Hallbauer für Text und Bild
 

Medienjunkie zur Gartenarbeit verdonnert

Dieser Medienjunkie wurde am vergangenen Wochenende bei einem Kongress als hilflose Person aufgegriffen, mit zwei Kabeln an zwei Steckdosen und zwei Iphones gekettet, hatte sie die Höchst-Nutzungsdauer der Steckdosen überschritten. Beiliegendes Foto wurde im Parkhaus aufgenommen, wo die die habilitierte 19-jährige Medizinprofessorin aufgegriffen und zu 4 Monaten Gartenarbeit verdonnert wurde. Unter Anleitung eines psychiatrischen Expertenteams und unter Teilnahme ausgewählter Vertreterinnen sozialer Medien (Medien-Methadon) darf sie nun den Garten umgraben. "Gottseidank" seufzt der Hoteldirektor. Der Gärtner musste neulich schon entlassen werden, wegen des von der Unternehmensberatung empfohlenen Personalsparprogramms. Ob Medienjunkies sich zur Gartenarbeit eignen, wird dieses Pilotprojekt zeigen. "Und wenn es klappt, umrunden wir den Garten mit Buchsbaum und lasen die Fassade mit Efeu einwuchern" so der Pressesprecher des Hotels.
 
(c) für den Wahrheitsgehalt dieser Nachricht bürgt Daphne Elfenbein

Saison …

 

Wo ist der Frühling

Weiß ich, wann Blütezeit ist?

Oder brauch ich einen Kalender

Der mir den Tag anzeigt

An dem ich loslege und feiere

Dass ich am Leben bin

Oh ich habe Augen zu sehen

Ohren zu hören

Wann Gelegenheit mir die Hand reicht

Ich ergreife sie gern

Und tanze

 

(c) Brigitte Hallbauer

Was will ich?

Weniger tun - mehr sein
den Atem wie eine Leuchte tragen
das will ich
sonst holt mich die Sinnlosigkeit ab
zur nächsten Shopping Mall
Nichts als ein Zeuge sein
das will ich
vom Raunen des Wassers
dem Pulsieren der Sonne
und wenn die Schwäne sich küssen
am glitzernden See
Atmen
das will ich

März 2017: Von Caputh nach Potsdam

 

Eigentlich wollte ich nur von Seddin bis Caputh. Dort esse ich um 16 Uhr vor dem verschlossenen Sommerhaus Albert Einsteins eine Mahlzeit. Leider leider ist keine Besichtigung möglich, denn erst ab April haben Museen, Cafés und Ausflugslokale geöffnet.Das Schloss, das hübsche Barock-Café, das Einstein-Haus - alles zu. Mein Weg führt am Stadtzentrum vorbei und nein, es gibt nicht mal eine Bäckerei, nur Massagestudios, in denen auch nix los ist. Ich unterhalte mich mit einem Eichelhäher und einem Wegweiser. Von Caputh mit dem Schienenersatzverkehr nach Hause fahren dauert mindestens ebenso lang. Nur noch 7 Kilometer bis Potsdam. Ach, das schaff ich noch vor Dunkelheit.  

Bei sinkender Sonne am Templiner See entlang wandernd wächst mir neue Kraft zu. Mein Ziel rückt näher. Die Spannung steigt. Ein stattliches Forsthaus mit geschwungenen Walmdächern, eine elegante Bierbrauerei, ein Strandbad, und dann biege ich links ein auf die ca. 3 km lange Landzunge, die man für die Bahntrasse in den See geschüttet hat. Immer wieder ziehen rote Regionalbahnen vorbei, während ich unten am Bahndamm dem Wanderweg folge. Die Abendsonne glitzert auf dem See wie ein göttlicher Sternenregen. Das letzte Stück ist eine alte Brücke. Dort kommt mir ein enttäuschter Radfahrer entgegen: "Die Brücke ist ja gesperrt, da kommt man nicht rüber". Er musste umkehren. Ich bin ohne Fahrrad, klettere über die Absperrungen und umgehe das Baugerüst, indem ich einen Steilhang hinauf kraxle Etwas mulmig ist mir schon und ich tapere vorsichtig auf den gelöteten Stahlplatten über die baufällige Brücke, aber der Ausblick über den Templiner See, den Hermannswerder und die fernen Türme von Potsdam ist das Risiko wert. Das Pumpwerk in Gestalt einer Moschee, der Blaue Turm, die Hochhäuser der Brandenburger Vorstadt. Am Ende der Brücke wieder ein Baugerüst, Absperrungen, ich rutsche einen Steilhang hinunter, ein Jogger tut das Gleiche in Gegenrichtung – wohl nicht zum ersten Mal - und grinst mich verschwörerisch an. Direkt am Wasser entlang führt der Weg nun über weitere Zäune und Absperrungen. Hier sind Wandervereine und Grundbesitzer sich uneinig, bemerke ich und reiße mir beim Klettern einen Knopf ab. Ein vermüllter Wald, eine verrottete Wohnwagensiedlung, zerrupfte Schwäne. Potsdam Pirschheide. 1,5 Stunden lang wandere ich die Uferpromenade entlang, bis es bei Potsdam Charlottenhof nicht mehr weitergeht. Bei Einbruch der Dunkelheit besichtige ich noch den riesigen Sportpark Luftschiffhafen, ein hochkarätiges Olympia-Trainigslager. Dort wird gejoggt, gekickt und gebrüllt, als ginge es um den nächsten Krieg. Aber es ist Freude und Ehrgeiz darin. Ich krieg grad Lust mitzujoggen. Erschöpft stehe ich vor dem Bahnhof Potsdam Charlottenhof. Es ist dunkel. Ich trinke eine Flasche Wasser auf Ex. In Zehn Minuten kommt die Regionalbahn. Ich hab es geschafft!!!!

 

…nämlich die 66-Seen Rundwanderung um Berlin mit ca. 400 Kilometern in 14,5 Monaten. Olympiareif ist es nicht, doch ich bin zufrieden mit meinem Werk und etwas traurig über das Ende, denn ich fürchte den Neubeginn, der nun ansteht. Tausende von Schritten bin ich gegangen und auf Schritt und Tritt begegnete ich der Natur und...  mir selbst. Meinen Denk- und Handlungsmustern, meinen Gewohnheiten und Bedürfnissen, meiner Art, die Welt zu sehen, meiner Bilderwut, Schönheit, Hoffnung, Angst, Unlust, Begeisterung, der Geschichte und Magie von Orten, von denen ich manche nochmal besuchen möchte, um näher hinzusehen, denn allzu rasch habe ich sie durchwandert. Berlin-Brandenburg bietet liebliche, wilde, überraschende und wasserreiche Landschaften voller Schönheit. Ich habe es kennen und lieben gelernt und will weiterwandern. Wer kommt mit?

 

Seddin - Caputh - Spuren des Grauens und frischer Schnittlauch

Heut ist wieder Wandertag. Um 11 Uhr steige ich am Bahnhof Seddin aus. Seddin ist bekannt als wichtiger Rangierbahnhof mit einem großen Bahnbetriebswerk. Neuseddin scheint nur aus trostlosen Mietskasernen für Eisenbahnerfamilien zu bestehen. Nach 3 Km am Bahngleis erreiche ich die Unterführung, an der meine letzte Wanderung in der Dunkelheit geendet hat. "Schweinesystem" hat jemand an die Mauer gekritzelt.

Ich wundere mich über die Stille über dem lieblichen Birkenwald, durch den ich wandere. Kein Vogel ist zu hören, obwohl die Witterung trocken und wechselnd bewölkt ist. Sind die Vögel noch immer eingeschüchtert von Gewalt und Tod, die in diesen Wäldern im April 1945 tobten? Beklommen nehme ich die Abzweigung zu einem Kriegsdenkmal. Der Kiefernwald, durch den ein Bahngleis führt, ist aufgerissen, aufgewühlt, nicht nur von nahrungssuchenden Wildschweinen, nein, ich sehe Reste von Schützengräben, Panzerschneisen, aufgeschüttete Hügel (Gräber?), verrostete Metallteile von Panzern, Autos, Waffen, teilweise hängt das Zeug in den Bäumen. Mancher Müll stammt auch aus heutigen Tagen, das erkenne ich am Verwitterungszustand. Am Bahndamm steht ein großes Kreuz aus Metall. Just kommt die Sonne hinter den Wolken hervor und wirft ihr Licht auf das Schild mit der Aufschrift: „In diesen Wäldern verbluteten im April 1945 80000 Gefallene der letzten Schlacht des Krieges 1939 – 1945“. Ich suche ein wenig herum und stoße auf drei Kreuze mit Namen von Gefallenen. Die meisten sind bis heute noch  unbekannt. Mitgenommen setze ich mich hin. Drei Namen, drei Kreuze, symbolisch für ein Heer Namenloser, ausgenutzt, zu Gegenständen erniedrigt, zum Gehorsam erpresst: Entweder du ziehst in den aussichtlosen Krieg oder wir erschießen dich als Deserteur. Ihrer Identität beraubte, verlorene Seelen irren in diesen Wäldern herum, die MG unter den Arm geklemmt. Die schweigenden Vögel wissen es. Sie sind noch im Krieg, diese Seelen, die ihren Körpern so jäh entrissen wurden, im Schrei erstarrten Mündern, zerrissenen Gedärmen, zertrümmerten Schädeln, lose herumliegenden Händen, Armen, Beinen, angstgeweiteten Augen… Sie suchen im Moos nach Nahrung, stets gefasst auf den nächsten Schuss, Fliegerangriff oder Tod durch Erschöpfung. Sie lassen nicht los, sie lassen nicht los. Zwei von ihnen sitzen mit gegenüber, die MGs in den Boden gestemmt. Der Krieg ist aus, sage ich ihnen. Aber sie glauben mir nicht. Auch haben sie ihre Namen vergessen. Geht doch zu den Seen und macht es euch schön, schlage ich vor. Ruht euch aus am Caputher See. Aber nein, sie finden die heilsamen Plätze nicht mehr. Nur die Autobahn, die meiden sie.

 

Je näher ich der Autobahn bei Ferch komme, desto weiter bleiben sie zurück. Ich muss unter der Autobahnbrücke hindurch. Das Donnern der Laster, rhythmisch, wie der Feueratem eines Drachens, deprimiert mich, auch der viele Müll deprimiert mich, der hier herumliegt. Sobald ich in den Wald hinter Ferch einbiege, bin ich erleichtert. Ich grüße meinen Schatten auf einer historischen Straße. Auf dem gewölbten Kopfsteinpflaster höre ich das Rattern von Postkutschen, die ihre Fahrgäste durchschütteln, bis ihnen der Schädel brummt. Es folgen Kaninchensee, Lienewitzsee und Caputher See, an denen ich ausruhe und den Blick über das glitzernde Wasser genieße, dem Planschen der Wasservögel zusehe und das erste frische Grün zwischen dem Laub hervorsprießen höre. Ich habe mein Etappenziel erreicht, als ich in das friedliche Städtchen Caputh einmarschiere, direkt auf Kirche und Schloss zu ...

 

Blankensee - Seddin – Sonne Wind und Frühlingsregen

um 13 Uhr finden meine Beine rasch in den vertrauten Wanderschritt. Zugleich fällt die ganze städtische Last von mir und ich atme durch, während ich den Bus Nr. 751 Richtung Glau auf der Landstraße veschwinden sehe.

Das letzte weite Fläming-Feld liegt links der alten Landstraße nach Stücken. Hier haben Naturschützer ein Storchennest auf einem Pfosten errichtet. Schwarze Vögel fliegen ein und aus. Gott hat Humor. Es sind Kolkraben. Sie erfüllen die Ebene mit ihrem trockenen Schrei, so als riefen sie den Regen, der schon bald einsetzt. In kahlen Bäumen hocken Misteln wie kleine zähe Geister
Ich betrete den Landkreis Potsdam Mittelmark und erreiche Stücken. Hier beschmusen mich zwei Katzen derart charmant, dass ich das zugehörige Flieder Café betrete und einen Milchkaffee über der Märkischen Zeitung lese: Ein Drogensüchtiger erdolcht seine Oma, klaut ihr Auto und fährt zwei Polizisten tot. Ein pflegebedürftiger Tumorpatient radelt um die Welt und zeigt‘ s den Ärzten. Das allerliebste Fliedercafé merk ich mir für Geburtstagsfeiern. Es gibt Wild aus Stückener Wäldern und Kürbiskernöl-Eiscreme zum individuellen Charme.
Gefüttert mit Nachrichten geht es weiter. Am Waldrand peitscht mir ein kalter Regen ans Hosenbein und ich stemme den Schirm gegen den Wind. Sobald der Schauer verebbt, setzen die Vögel ihre Frühjahrsbalz fort.
Zu meiner Linken begleitet mich nun viele Kilometer lang ein großes Gewässer. Ich bleibe an der Badestelle stehen, wo ich vor ein paar Jahren mit einer Kollegin badete und meine Sonnenbrille bei einer Rolle rückwärts im Wasser verlor. Beruhigend zu wissen, dass ein Stück von mir auf dem Grund dieses Sees liegt. Drum grüße ich den großen Seddinsee recht herzlich und freu mich über die herrlichen Bilder, die er mir schenkt. Sonnenlicht nach Regenschauern ist etwas ganz Besonderes.
Ich weiß nicht, warum ich bei dieser nass glänzenden Parkbank an meine Mutter denke. Doch auch das Kranichpaar auf dem Golfplatz zu meiner Rechten plaudert weithin schallend mit dem Universum. Ich kann ihre Stimmen nun eindeutig vom Schnattern der Wildgänse unterscheiden. Es sind helle klare Fanfarenstöße, etwa wie die Trompeten in Bachs Brandenburgischen Konzerten.
Ich durchquere drei Dörfer auf dieser Wanderung: Blankensee, Stücken und Wildenbruch. Der schlanke Kirchturm von Stücken, der breite Fachwerk-Turm von Wildenbruch, sehr unterschiedlich, schön und gut. Was aber ein typisches Brandenburg – Dorf ist, gruppiert Kirche, Gasthaus, die freiwillige Feuerwehr, Schulhaus und eine bemalte Bushaltestelle um den Dorfplatz herum, in dessen Mitte noch ein Kriegerdenkmal mit den Opfer-Namen steht. Dorfaue, Dorfplatz oder Dorfanger heißt das und versetzt einen gleich ins letzte Jahrhundert.
Die letzten Kilometer lege ich im Dunkeln zurück, begleitet von Sichelmond und Abendstern. Dem letzten Licht halte ich am finsteren Teufelssee mit seiner toten Atmosphäre die Hand. Im Dunkeln zu gehen hat seinen besonderen Zauber, nicht nur wegen der Rehe, die wie Geister über die Straße jagen und im Wald verschwinden.
Gegen 19 Uhr laufe ich in Seddin ein und kriege auch gleich einen Zug nach Potsdam. Alles in Allem eine gelungene Wanderung. Meinem Regenschirm und Wanderschuhen sei gedankt.

Von Wünsdorf Waldstadt nach Sperenberg

 

Zum dritten Mal nun komme ich gegen10:30 Uhr in Wünsdorf an und schlage den Weg Richtung Sperenberg ein. Die Bunkerführung hier mache ich ein anderes Mal und gewiss gibt es auch auf dem Friedhof des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers einiges zu entdecken. Doch heute will ich wandern.

 

Die Straßen sind verschneit und matschig. Ein Kind hat sein Schulbrot auf dem Gehweg verloren. Der große Wünsdorfer See, an dem ich vor drei Wochen noch im ergreifenden Abendlicht saß, ist nun mit einer weißen Eisdecke versiegelt. Ich setze frische Spuren in den unberührten Schnee. Hin und wieder kreuzt ein Wildwechsel. Hier ging ein Rudel Rehe, da floh ein Hase und dort ist die Erde unter dem Schnee von einem Wildschwein umgedreht worden.

 

Ich fühle mich kraftlos und lustlos, obwohl heute Vollmond ist. Drum lege ich langsam nur etwa zehn Kilometer zurück, nehme mir aber viel Zeit zum Stehenbleiben und schauen. Auf einem Abstecher zum Funk- und Aussichtsturm von Sperenberg begegne ich dem Wind, der seinen ganz eigenen Dialog mit mir führt. Von dort oben kehre ich zum Wanderweg entlang der langgezogenen kleinen Seenplatte zurück, die wieder wunderschöne Ausblicke bietet. Ich weiß nicht, warum ich die längst vertrauten Landschaften – Birken, Schilf, Wasser, Kiefernwälder - immer noch fotografiere, doch ich kann es nicht lassen, denn heute liegen sie eisesstarr im dürren Schilf und für kurze Zeit übergießt sie die Wintersonne mit reinstem Licht.

 

Später durchstreife ich das Naturschutzgebiet um die ehemaligen Gipsbrüche, für die Sperenberg in die Geschichte einging. Dort sind vom 700 Jahre lang betriebenen Bergbau mehrere kleine Seen entstanden, die starr und faulig in ihren Gruben liegen, vom stark erodierten Gipsberg umgeben, eine wilde Landschaft. Irgendwo steht eine Gedenkstele, wonach hier an dieser Stelle 1871 über 1200 Meter tief in die Erde hineingebohrt wurde, ein Weltrekord damals. Man stellte fest, dass es alle 30 Meter um ein Grad wärmer war im Erdinneren. Hmmm, der Weg zum Magma. Ich fühle mich ein wenig an das historische Kalkbergwerk in Rüdersdorf erinnert, eine Wanderung vom vergangenen Sommer… Und doch wirkt hier alles ärmlicher.

 

Wieder begrüßt mich ein Dorfkirchlein in Sperenberg, das schon auf dem Weg zum Aussichtsturm frech seinen Turmhelm über dem kahlen Feld erhoben hatte. Der Dorfkrug gegenüber ist geschlossen, wie so vieles in diesem Ort. Doch ich finde eine Bäckerei, wo ich eine Tasse Kaffee kriege und ein paar hausgemachte Vanillekipferl. Die Menschen kennen einander, bewegen sich langsam und die Kuchenstücke sind riesig groß…

 

Spät erst stelle ich fest, dass der Bahnhof von Sperenberg stillgelegt und in eine Bildhauerwerkstatt umgewandelt wurde. Eine knappe Stunde warte ich bei einbrechender Dunkelheit in der Kälte am Straßenrand auf den Bus nach Zossen. Na toll. Der war dann herrlich warm und über Klausdorf und Mellensee kam ich nach Zossen, wo ich gleich Anschluss nach Lichtenberg fand. Die nächste Wanderung führt nach Trebbin …

 

 

 

Das letzte Blatt...

Das letzte Blatt, hingegeben zwischen Ast und Wind, ein zappelndes Mysterium, das, immer heftiger werdend, auf den entscheidenden Moment zusteuert, worin sich die Jahreszeit unerbittlich vollzieht. Wird es standhalten? Wird es fallen? Es ruft nach mir...mit der knisternden Stille der kommenden Raunacht...

 

Unterwegs im Landkreis Dahme-Spree

Im Regen zu wandern …

 

  … garantiert absolute Stille. Um 10:30 nach fast zwei Stunden Anreise stehe ich auf dem stillen Marktplatz von Märkisch-Buchholz, das ich nun zum dritten Mal in diesem Jahr ansteuere. Dieses Mal schlage ich die westliche Route Richtung Halbe ein. Fast ist mir die kleinste Stadt Brandenburgs schon vertraut und interessiert betrachte ich ein Wohnungsinserat an einer Anschlagtafel, eine Brezel aus dem einzigen Edeka-Lädchen im Dorf verspeisend.

 

Und schon biege ich von der Königs-Wusterhausener-Straße links in den Wald ein, erkunde einen verlandeten kleinen See, dessen trockenes Schilf und abgestorbene Bäume hinter den Kiefern weiß herüber leuchten. Der Wind flüstert im Schilf und ich fühle die Besonderheit dieses Ortes.

 

Schon nach 90 Minuten komme ich aus dem flachen, sandigen Kiefernwald in das Dörfchen Halbe. Trostlos stehen Ruinen und unbebaute Gelände im Regen. Ein Kirchlein läutet die Glocken, ein Güterzug tobt vorbei, dann ist wieder Stille und ich sitze am Heidesee und werde beim Mittagessen in der Kälte, von einem weißen Hund erschreckt, der sich von hinten anschleicht und mein Essen riecht. Ich packe ein, als es zu regnen beginnt und marschiere um den lieblichen kleinen See herum, vorbei an wohnlichen Häusern und Gärten, worin Weihnachtslichter in den menschenleeren Nachmittag blinken.

 

In Halbe erinnert eine riesige Kriegsgräberstätte an die Abschlachtung von Zig Tausenden Deutschen Soldaten, welche eingekesselt, nicht bei der Verteidigung Berlins helfen konnten. Es müssen noch Tausende von Gerippen unter dem weichen Waldboden liegen. Und all die Bäume um mich herum waren Zeugen von Schüssen, Lärm, Schreien und Tod.

 

Der Wanderweg führt lange die L74 entlang, die die A13 überbrückt, durch ein Gewerbegebiet mit polnischen und russischen Trucks und biegt schließlich wieder in den Wald, worin die schnurgeraden Wege kilometerweit von Birken gesäumt sind, die leuchtend weiß Spalier stehen. Der kleine Nicolassee liegt grau und still im Regen. Die Moose und Flechten duften. Irgendwo flieht ein Reh und ich halte mich nirgendwo lange auf, denn es ist nur warm, wenn ich mich bewege. Sehr schön ist das letzte Stück Wald bis Teupitz, leicht ansteigend mit weichem sandigem Boden.

 

Im Dörfchen blinken die ersten Lichter auf, es wird dunkel. Kaum ein Mensch auf dem glänzenden Kopfsteinpflaster der engen gewundenen Straße, die bis zum Teupitzsee führt, das Ziel der heutigen Wanderung. Wie gern hätte ich irgendwo Kaffee getrunken, aber sämtliche Läden sind bereits zu. Nur ein Frisör und ein Nagelstudio haben Betrieb und das Hotel Schenk von Landsberg.

 

Am Teupitz-See halte ich meinen Schirm gegen den Sturm, blicke aufs graue Wasser, über dem der Regen sich mit dicken Schneeflocken mischt.

 

Im Dorfkirchlein ist es dunkel und still. Der Religionsmief von Jahrhunderten steckt in der Luft, den Teppichen, den wackligen Bänken. Ich genieße eine Vierteilstunde absolute Stille und gehe dann erholt über den Marktplatz zur Bushaltestelle zurück. Eine Stunde lang braucht der Bus bis Königs-Wusterhausen. Zweieinhalb Stunden dauert der Rückweg insgesamt. In den überfüllten Bahnen von Berlin habe ich die beste Laune aller Zeiten.

 

Novemberwetter

 

 

Wer sehnt sich nach Sonne

 

in diesen magischen Tagen

 

in denen der Himmel uns gnädig bedeckt

 

mit Wolken und Nässe

 

und uns auf uns selbst zurückwirft.

 

Wer klagt übers Wetter?

 

Oder über den Zustand der Welt?

Wer sehnt sich nach Sonnenstrahlen?

 

und bejammert das Ende der Zeit?

 

 

 

Als die Tage sich dehnten

 

Waren sie uns zu lang

 

Als die Sonne brannte

 

War es uns zu heiß

 

Als der Urlaub sich dehnte

 

Langweilten wir uns

 

Oder wir stritten

 

 

 

Ist uns noch kalt?

 

Oder gibt es ein Bad zur Nacht?

 

Sind wir einsam?

 

Oder schreiben wir lange Briefe?

 

Ist unser Heim ein gemütlicher Ort?

 

Oder jagen wir im Regen

 

Dort draußen nach Glück

 

Irgendwo wartet es doch auf uns

 

Erkennbar am Duft

 

Der baumelnden Karotte

 

Ich lausch dem Knistern der frühen Nacht

 

der Regenmusik

 

der Nachmittagsstille

 

der Melodie meines Herzens

 

das sich der Jahreszeit ergibt

 

Freude findet in der Melancholie

 

Klarheit im Nebel

 

Licht in der Dunkelheit

 

Heiße die Dämonen willkommen

 

Wie einen ungebetenen Gast

 

Setz ihnen keinen Tee vor.

 

Liebe ist

 

Glücklich zu sein

 

Mit dem was ist

 

 

Aloha

 

 

 

 

(c) Text und Bild: Brigitte Hallbauer

 


Liebe...

Wenn Liebe fließt, verlässt uns die Dunkelheit wie ein aufgescheuchter Dieb. Wir müssen nicht nach Lösungen suchen. Wir dürfen die Liebe kommen lassen wie einen Schmetterling, der sich auf unsere Hand setzt, wenn wir nur stillhalten. Wenn wir die Liebe rufen aus tiefstem Herzen, und sei es ein zufällig ausgesprochenes Gebet beim Geschirrspülen, dann kommt sie zu uns in all ihrer Schönheit und Größe, unerwartet und ein Geschenk, für das wir die Sterntalerschürze aufhalten müssen, um sie zu halten..


Festhalten lässt sie sich nicht. Wer liebt lässt los. Wer vertraut, kennt die Jahreszeiten. Es gibt ein unbestechliches Grundbedürfnis in uns, das sich nicht abspeisen lässt mit bloßer Beschreibung. Eine Speisekarte zu lesen macht Hungrige nicht satt. Eine Beschreibung von Gott führt nicht zur Erfüllung. Doch eine Erfahrung zu machen schenkt uns ein Wissen, das uns nichts und niemand mehr nehmen kann.

 

Aloha

 

 

 

Herbstspaziergang

Der Garten - die Welt

(nur bei Hotel Harakiri)

Garten

Eine Minute Stille

 

 

Wie leis die Tagessterne singen,

 

von der Sonne auf den See gestreut.

 

Das Lichtwasser orgelt Begleitmusik in den Blättern.

 

Sie sprechen sprachlos zu mir,

 

sodass meine Gedanken aufhören zu toben.

 

Respektvoll ziehen sie die Tür hinter sich zu,

 

während meine Füße Schritte setzen im knirschenden Sand.

 

Die Stadt hinter mir träumt

 

ihren Traum von Rausch und Ruhm

 

zum Geheul der Sirenen.

 

Der Reiher ruft. In mir steigt ein Lächeln.

 

 


Lazy summer lush...

Der Weg in den Garten

 Erst weiß ich nicht, was die Luft so in Aufruhr versetzt. Dann hör ich das Rascheln deines Gefieders und wie du dich schüttelst, als du mit einem mächtigen Luftzug auf dem Tisch landest, direkt vor mir. Du entrollst deine Flügel. Ich sage: Wie schön du bist und steig auf deinen schneeweißen Rücken, schmiege mich an deinen stromlinienförmigen Leib und schlinge meine Arme um deinen Hals. Egal, wer hier noch mit am Tisch sitzt, um mich herum. Sie sehen dich nicht. Und mir ist egal, was sie denken. Ich spüre, wie du zusammenzuckst unter mir, als der Hund auf der Straße bellt, ein ganz kleiner ist es. Und wie du mich jetzt mitnimmst. Erschrocken vom Hundegebell und eher als gedacht erhebst du dich, leicht und mächtig, die Winde mit deinem Flügelschlag rufend, der uns mit diesem rhythmischen Pfeifton, den ich so kenne und liebe, in den stahlblauen Himmel trägt, hinauf in die herrliche Weite, vom Sonnenlicht mit tausend Sternen angefüllt. Vollkommene Harmonie durchpulst jede Zelle meines Körpers. Wir fliegen, du und ich, die ich meine Hände in deinem blütenweißen Gefieder vergrabe, mich darin fest kralle, um nicht herunter gepustet zu werden vom scharfen Wind, der kalt um meine Ohren fegt. Dir macht das nichts aus. Das bist du gewohnt. Und je mehr wir eins werden, du und ich, umso mehr verschwindet mein Schmerz, der mich am Boden festhielt, und ich schwöre, dass ich alle Medikamente wegwerfen werde, sobald ich zurück bin.

 

"Bring mich in meinen Garten", flüstere ich, und strecke mich so weit als möglich nach vorn, damit du mich hörst, im Lärm der Bewegung. "Bring mich zu meinem Garten." Und ich empfinde eine ekstatische Welle des Glücks, als durchströmten Sonne, Luft und Licht meinen Körper und es gebe keine Grenzen dazwischen. Du streckst deinen orangenen Schnabel mit der schwarzen Pilotenmaske auf dem weißen Flaum in die Zielgerade und es ist, als flögen wir mitten in die Sonne hinein. Ich vertraue dir ganz und lasse mich fallen, lasse mich schaukeln, reite mit dem Wind, berge mein Gesicht in deinem Gefieder, fühle deinen herrlichen weißen Leib unter mir. "Bring mich zu meinem Garten", flüstere ich in den Wind, der mein Verlangen an deine Ohren trägt.

 

Von irgendwo höre ich ein Knistern und Knacken. Es ist wie das knarrende Gebälk eines einstürzenden Turms, es ist wie das Wachsen der Platanen unten auf der Erde, die einen neuen Jahresring bilden oder deren Äste, die knackend frische Triebe schieben. Ich schaue zurück, doch deine kräftigen Flügel ziehen mich fort. Das Geräusch verblasst. Ich muss mich festhalten, sehr fest...

 

Schon rieche ich den würzigen Duft von Lavendel, Geranie und Phlox, vernehme das Flüstern der Kelche, das Bienengesumm und kann' s nicht erwarten, mich auf die Erde zu legen, die Arme auszubreiten und die Augen zu schließen. „Glück ist wie ein Vogel. Wer es nicht ergreift, dem fliegt es davon“ sagt das Sausen der Luft, die du nun im Abwärtsflug mit den Flügeln zerstückelst. Ich wünschte, ich hätte deine elegeante Landung aus der Ferne betrachtet, statt dessen fühle ich, das allmähliche Berühren des Bodens, wie sich unser Gewicht in die Schwerkraft ergibt, in die Erde, auf der du mich absetzt, das grüne grüne Gras, in das ich von einem Rücken gleite und ich umarme die Erde, sauge ihren Duft ein und flüstere "Danke" und noch einmal "Danke" und noch einmal "Danke". Und während du unter dem Weidenbaum ins glitzernde Wasser gleitest, gehe ich behutsam über die Wiese und betrete den Garten ...

 

 

 

Bildergeschichtchen aus Märkisch-Oderland

Bildergeschichtchen aus Märkisch Oderland

Was macht der Fuchs wenns hagelt?

Nachrichten aus der Gartenlaube

Das Erste, was ich heute morgen gesehen habe, war ein Taubenpaar, das in der kahlen Traubenkirsche über ihrem Nest gurrte. Später hörte ich von den Terroranschlägen in Brüssel. Schockierte Flugbegleiterinnen liegen sich in den Armen, Menschen rennen um ihr Leben, der europäische Flugverkehr liegt lahm. Ich lese mal nach, was IS bedeutet und sage: Aha. Ein Feindbild ohnegleichen will man mir hier vorgaukeln. Bestimmt ist das alles ganz anders, als die Medien glauben machen. Chaotischer, unüberschaubarer, willkürlicher als all die schwarz-weiß-Kategorien, die man uns hinwirft, damit wir mithetzen. Tut mir leid, ich werde da nicht mitreden. Ich werde mich nur in Sicherheit bringen, denn irgendwann ist auch Berlin dran. Nach dem Mittagessen ging ich zu einer Kundgebung vor dem Rathaus im Wedding, um für den Erhalt eines kleinen schmuddligen Cafés auf dem Leopoldplatz einzustehen. Dann trank ich mit einigen TeilnehmerInnen einen Cappuchino unter dem Zeltdach, auf das ein heftiger Regenschauer niederprasselte. Ein Belgier im Rollstuhl, zwei Afrikaner, eine Tschechin, ein paar Türken, ein paar grüne Politiker diskutierten eher kleinlaut und entmutigt über die Neugestaltung des Leopoldplatzes, von dem man doch endlich die Trinker und Junkies weghaben will.

 

Nachmittags kaufe ich Gastgeschenke ein, denn ich verreise zu Menschen, die außerordentlich am Herzen liegen und möchte ihnen eine kleine Freude machen.

 

Das Letzte, was ich höre an diesem Tag, ist eine Schar von sechs Entenküken, die lebhaft fiepend durchs Seewasser pflügen, begleitet vom besorgten Schnattern ihrer Eltern im Ufer. der Vollmond kommt hinter den Wolken hervor und lässt die regelmäßigen Strukturen einer Eiche aufleuchten, die bald hinter einem Blätterkleid verschwinden werden.

 

Wisst ihr, ich halte das Leben nur noch mit Hauptsitz im Garten aus.

 

 

 

(c) Text und Bild: Brigitte Hallbauer

 

 

Das Lied des Wassers

 Zu deinen Füßen lege ich, Mutter, was ich geschaut hab. Meine Schritte atmen am Rande des Wassers. Dort erheben sich steinerne Wesen aus dem Schotterbett. Sie rufen HE und HO zu den Steinen im Bach, die mit weiß geränderten Augen im reißenden Wasser hocken. Weit oben bei der ersten Einschnürung des Tals schleift die Flut hart an der Felswand, tobt in einen steinigen Kübel, worin Treibgut in schäumenden Wirbeln tanzt. Hoch oben verkeilen stürzende Brocken die Schlucht und Kaskaden von trübem Licht überschütten mich am Rand ihrer Schatten. Sie nehmen Gestalt an. Sie sprechen mit mir. Doch ich bin beim Moos, das in grünen Fäden auf wassergekerbten Schrattenkalk trieft. Abertausende von Buchenblättern hocken auf nassem Fels in der Tiefe, ein Schwarm, bereit sich zu erheben wie tanzende Mücken im Licht. Tannen stürzen im Wasserstaub, wie Streichhölzer brechend, Stahlträger bäumen sich auf und biegen sich schlangengleich um den Stein im wütenden Strom, der in die Tiefe reißt, hinab in die Tiefe, die ich mit bloßem Auge nicht mehr fassen kann. Rastlos und gewalttätig schabt das Wasser den Graben tiefer in den Fels, seit Jahrtausenden schon. Dann stehe ich mitten im lautlosen Fels, von dem die Nässe trieft, ein eiskalter Einschluss von Geheimnis, Gewalt und Vernichtung. Kein Laut dringt hierher. Weit unten sehe ich Moosteppiche wachsen auf gebrochenem Fels, ein Samenkorn, das auf ein Restchen Erde flog, wo bald eine Tanne steht. Unten verkeilt ein Knäuel sauber geglätteter Stämme die Brücke. Und dies ist der Augenblick, Mutter, wo die Macht des Wassers mich erschauern lässt und ich versuche erst gar nicht, zu begreifen. Jenseits von Gut und Böse fegt es mir allen Hochmut den schießenden Strom hinab und mein Klagen und Fordern verstummt im Donnern des stürzenden Bachs.

 

Schweigsam taumle ich zwischen den flüsternden Steinen herum auf dem Weg zurück. Die tuschelnden Steine zwinkern mir zu aus dem vielstimmigen Chor des Wassers. Mein Schweigen nährt sie mit der Liebe, die ihnen zusteht. Wir sind einander näher gekommen. Traumverloren gehe ich weiter und fühle, wie das Lied des Wassers sich in meine Seele gräbt, die es zaghaft zu singen beginnt.

 

 

(c) Text und Bilder: Brigitte Hallbauer

 

 

Gänseblümchen

Dass Kinder am Leben bleiben, weil sie gern Kränze aus kleinen weiß-gelben Blümchen flechten, dass man Kinder zum Leben überreden kann mit dem Flechten kleiner Kränze aus gelb-weißen Blümchen, dass Kinder in die Händchen klatschen und zu lachen beginnen, wo sie eben noch weinten und schrien, weil du ihnen einen Kranz aus gelb-weißen Blümchen auf den seidigen Flaum ihres Köpfchen setzt, dass Kinder wissen, genau wissen, was gut für sie ist und welche Blumen man essen kann, obwohl sie es niemand gelehrt hat, das ist ein kleines Wunder, das einmal selbstverständlich war.

 

Einen Kranz aus Gänseblümchen flechte ich dir, mein Kind, und will ohne dich nicht mehr sein. Ich hab dich nicht erkannt, verzeih, zu grausam war mir dein Schrei. Doch sieh, wie viele wir sind und wir schauen mit liebenden Augen auf dich. Eine singt dir ein Wiegenlied, eine Andere wiegt dich im Arm. Sei willkommen mein Kind, denn dein Atem ist die Krone aller Gaben, die Wissen, Liebe und Weisheit birgt, den Tod fernhält und den Staub erstrahlen lässt. Schrei wenn du willst und lach wenn du willst und wirf die Sonne der Liebe auf uns. Schlaf hüllt dich ein und trägt dich fort, komm wieder und berühre uns mit deinem Wissen, damit seine Flamme in uns lebendig bleibt. 

 

 

(c) Text und Bild: Brigitte Hallbauer

 

 

Gespräch mit dem Ginster

Giftiger Ginster – spröder Besen voll saftiger Dürre, in deinen Adern fließen grüne Kristalle, deine knotigen Äste waren einst Knochen. Die Feen laben sich an dir, für den Hirschen bist du gefährlich. Geborgen in keimtötender Kälte, widerstehen deine biegsamen Borsten jedem Wind. Am Wegrand spricht dein Duft beredt von der Kraft in deinen Adern, bescheiden und groß. Mit nichts bist du zu vergleichen, ob Kiefer, Mistel, Schachtelhalm oder Binse. Nichts Überflüssiges haftet dir an. Mit schwungvollen Pinselstrichen getupft malst du den Winter ewig grün. Stark und farbensatt wie dein Kraut wird deine Blüte sein. Sie kommt zu ihrer Zeit und nur dann. Grade und unbeirrbar wächst du in mir den Lösungen meiner quälenden Fragen entgegen. Du fegst das Haus meiner Seele aus und mein Atem reckt sich vertrauensvoll nach dir. Wie ich mich freue.

 

 

 

Das Gute an diesem Tag ist ...

... dass der Schnee so viele Farben hat, dass ich warme Handschuhe habe und Brot, das mir Kraft für den Weg gibt. Das Gute an diesem Tag ist die Langsamkeit, die Stille, fast hör ich die entlaubten Stäbe aneinander schlagen und die Kälte lässt die Worte an meinen Lippen festfrieren, von denen ich sie herunter breche und bedächtig weiter reiche an meine Weggefährtin. Das Gute an diesem Tag ist, weiterzuziehen und stehen zu bleiben wie ich es mag, oder einen Hang hinunter zu rutschen, einfach so. Auch, dass alles seine Zeit hat und die Zeit mich hat am Angelhaken des Atems. Ich tauche tief hinab in die Stille, bis meine Ohren klingen und der Wald zu reden beginnt, durch den ich wandere. Das Gute an diesem Tag ist, nach Hause zu kommen und Rotkraut mit Kastanien zu essen und dann die Augen zu schließen und die Wälder meiner Seele zu bewandern, worin Gänse und Kraniche sich mit mächtigem Lärm von den kahlen Feldern erheben und die Hagebutten tupfen ihr Blut in den Schnee, der die Welt mit den Irrlichtern des Schweigens bedeckt. DAS ist das Gute an diesem Tag.

die Gerüche des Herbstes

 Es gibt Tage, die haben Gerüche, die wie Wind in meinen Segeln sind, von Sehnsucht gebläht, fast rieche ich das Wasser, das die Eiche mit ihren Nüssen bombardiert, mit jeden Windstoß tanzen sie  von Holz zu Holz, prasseln gluckernd in den See, der sie sanft in Schlamm bettet. Tage, an denen die Kastanien im Tau glänzen und die Feuerwanzen sich im letzten Sonnenstrahl wärmen an dürren Stängeln. Bei Gott, wie mich die fallenden Blätter mit ihren Worten streicheln und ich antworte ihnen mit den Blicken meiner Hände.

Und wie mein Herz in Wellen anhebt, wenn der Duft von Holzfeuer und Eintopf durch den Hausflur zieht, fast hör ich Gelächter und Schreie aus Kindertagen, sehe Rotznasen, rußige Hände und Augen, in denen Geheimnisse glänzen vom Kastanien-Haus in den Wurzeln, dem Feuer am See. Der würzige Duft des Ahorn, der ein Blatt vor meine Füße legt, im majestätischen Feuer strahlt er reglos und bis vor die Haustür, wo bei Einbruch der Dunkelheit der Duft von Wärme und Kerzenschein mich umfangen wie ein Schiff, das in den Hafen einläuft, Anker wirft nach langer entbehrungsreicher Fahrt. Und ich lasse mich fallen, tief tief fallen in die Arme des Herbstes. Das alles ist wahr und voll Würde, JETZT.

 

 

(c) Text und Foto:  Brigitte Hallbauer

 

 

Warum ich nicht mehr lese

Ich lese keine Bücher mehr. Ich lese, was die Wolken atmend in den Himmel schreiben´Mit meinen Händen lese ich das Wasser und spreche mit dem See, der meinen Gruß erwidert mit tausend Sternen, ich lese mit der Haut, mit den Augen, der Nase und dem Mund, und bin mittendrin im Liebesakt zwischen Erde und Sonne. Sie erzählen von den Zyklen der Liebe in schlichten Worten, ich lese im Aufsteigen flimmernder Luft in den Spiegelungen des Äthers, greifbar beinah, essbar und lesbar, ich lese in den Bäumen, die sich fächelnd über mich beugen, von der Liebe zwischen Wind und Blättern, Luft und Lungen, zwischen Blutbahnen und Herz. Ich lese und lese so lange bis ich sie sehe: schimmernd mich und alles um mich durchströmend: Mutter. Und mein Herz beruhigt sich und ich lasse alle Waffen fallen und schlafe, schlafe, sanft gewiegt in ihrem Schoß, eins mit ihrer grenzenlosen Liebe, Wer will sie einsperren in ein Buch? Seht ihr, drum lese ich nicht mehr.

 

 

© Brigitte Hallbauer

 

 

Unsterblich ...

Dies ist der letzte Tag. Noch atmest du, isst und trinkst, bewegst Arme und Beine, Doch die Liebe ist tot. Das Universum ein Klumpen Staub. Es gibt keine Luft mehr zum Atmen und die Tiere rufen vergeblich nach dir.


Warum gehst du nicht?


Ah, diese guten Menschen verbieten es dir. Auch sie wollen was vom Ewigen Leben haben. Haben wir einander nicht lang genug zerstört? "Wir wollen Leben!" skandieren sie. Doch es ist zu spät. Der Kredit ist ausgeschöpft. Die Kliniken quellen über von denen, die am letzten Strohhalm klammern.


Die Hand, die du eben noch hieltest, entgleitet dir schwach. Du treibst davon. Die Strudel werfen dich umher wie ein Stück Holz, dein Schädel zerbricht auf einem Stein. Ein Wasserfall zieht dich hinab ans andere Ende der Welt.


Niemand außer uns selbst sprach das Todesurteil und die Frage "Warum" verbietet sich hier, denn schon heult der Nordwind durch deine Mitte, wo vorher das Herz saß. Bei Tod und Teufel du hast es selbst heraus gerissen.


Verzweiflung ist ein warmes Gewehr, stark genug, dich hinab zu feuern in die Tiefe, bis zur Austrittsstelle auf der Unterseite der Erde, Dort wo die Ratten stehen und deinen Ausweis stempeln, wo Kopflose den menschlichen Ausschuss in Särge sortieren und ins All schießen, wo die Materie zerstäubt und die Ausbreitung von Blau in der Schwärze tut wohl.


Ich schreibe das alles an die zerborstene Sonne, die einmal eine intakte Welt beschien und an den Boden, der mich einst trug. Schon lange sah ich die Kadaver der Freunde warnend am Wegrand liegen. Doch war ich beschäftigt, an Dinge zu glauben, die man mir verkaufte, Uniformen des Glücks, die kniffen und drückten. Ich habe dich gesucht all die Jahre, wo bist du verloren gegangen? Selbst als Staubkorn werde ich nicht aufhören, dich zu suchen. Es ist kein Spaß, unsterblich zu sein.

 

 

 

Mitgefühl - Tatkraft - Gerechtigkeit

Eine Zahl, ein Blatt, ein Tag, den du abreißt und wegwirft, dessen Namen du rasch vergisst. Der Tag, die Nacht davor haben dich verändert und grade tut es dein nächster Atemzug. Verlass ihn doch, den Schmerz, Wende dich ab von dem Parasiten, der dir die Leber frisst, Gib ihm keine Nahrung, Setz ihm keinen Tee vor, versteck dich nicht vor ihm. Erlaube ihm nicht, dich aus der Dunkelheit zu lenken. Lass ihn nicht dein Rückgrat brechen und tausche ihn nicht gegen eine Gehaltsabrechnung. Der Krieg liegt in den letzten Zügen. Jetzt schaffst du Mitgefühl, Tatkraft, Gerechtigkeit. Jetzt wirst du zur Gegenwart, der nichts mehr anhaftet von den Urteilen der Alten, nutzlose Gesetze, mit denen man dich geformt und verbogen hat, die du abstreifst wie Staub.


Deine Worte fallen nicht mehr auf verbrannte Erde. Deinen Taten widerfährt Gerechtigkeit. Die übriggebliebene Zeit sammle auf, sie ist nur Aufschub, ein geducktes Weiteratmen im Wartezimmer des Todes, worin die Worte im Keim ersticken angesichts des Verbrechens.

 

 

 

Das Gefühl

Die Bewegung, so klein sie auch ist, den Stift aufs Papier zu setzen, diese winzige Handlung löst ein Gefühl aus. Weit weg ist es, und die trüben Spiegel geben allmählich ein Bild frei, wie Sonnenstrahlen durch ein Walddach gesiebt, fleckig über den Boden gestreut, oder die essbaren Kräuter am Wegrand, der zerbissene Maulwurf, der tief atmet, festgenagelt an den Schmerz, reglos auf das letzte Aushauchen zusteuernd. Ein Gefühl wie das klaffende Loch am Hals des Tieres.

 

Aber ich wusste schon, dass die Waldkatze mich beobachtet, ich fühle sie in meinem Rücken und als ich mich umdrehe, fallen unsere Blicke lang und reglos übereinander her, bis sie nachgibt und ihr getigertes Fell im Unterholz noch hie und da aufblitzt... (fortsetzung folgt)

 

 

 

 

 

der Augenblick - ein Vogelkomet

 

 

Wer weiß schon, wohin die Reise geht

Wenn die Augenblicke sich ausdehnen

Weit sind sie und voll von Mais und Morgenkühle

Sie umrunden die Stämme geduldiger Bäume

Und fragen nicht nach dem Wohin und Woher

 

Nach Kalamuki, wo meiner Ahnin Feuer brennt

Aus ihrem Kopf schießt die Flamme direkt in den Himmel

Nach Ohanula, wo die Zwerge Holz nachlegen

Oder fort von hier in alle Richtungen

Überall und nirgendwohin, weil alles Eins ist

 

So viele Fragen und der Wegweiser der Stille

Führt an die unbedeutendsten Orte

Wo Dankbarkeit ihre Gefäße bereithält

Seht wie sie überlaufen, so unauffällig

wie eine zerlesene Zeitung im Müll

 

Ich warte noch, bis der Komet vom Himmel stürzt

Weil seine schwarzen Flügel gebrochen sind

Kinder haben weinend das Kreuz geschnitzt

und meine abgelegten Kleider stehen auf dem Grab

Skulpturen, steif von Auswurf und Schleim

 

 

 


Frau Elfenbein geht Blätter pflücken